1968 – Braindead

REVOLUTION
Offiziell ist 1968 das internationale Jahr der Menschenrechte, inoffiziell das der Revolten. Prager Frühling. Pariser Maikommune. Die „68er“.

George A. Romero

[George A. Romero]

Auf der Democratic National Convention in Chicago, der Wahl des demokratischen Präsidentschaftskandidaten, stellen politisierte Hippies ein Schwein als Kandidaten auf. Überall Zusammenrottung, Tumult, revolutionäre Massen. Im Windschatten dieser Ereignisse beginnt, zu dieser Zeit weitgehend unbeachtet und unerkannt, eine weitere, schleichende Kulturrevolution. Auslöser ist George A. Romeros Film "Night of the Living Dead' (dt. "Die Nacht der lebenden Toten"), der am 1. Oktober 1968 in Pittsburgh, Pennsylvania, Premiere hat. Er markiert die Geburt des modernen Filmzombies und damit den Einzug der Drastik in den Film als Mittel zur Spiegelung und radikalen Kritik gesellschaftlicher Zustände.

GEORGE ANDREW ROMERO
"Night of the Living Dead" ist ein 'film noir' von beinharter Konsequenz. Er platzt in den aufgeheizten, Utopien geschwängerten Zeitgeist der späten 1960er-Jahre mit gnadenlosem Realismus und einer nur durch den Sarkasmus der Erzählhaltung halbwegs erträglichen analytischen Kälte. Er ist einer der ersten Vertreter eines neuen, wahrhaft modernen Horrors, der ohne Abfederung durch versöhnliche Plot-Konstruktionen den Rassismus, die Gewaltbereitschaft, die Borniertheit, den Militarismus und die naive Mediengläubigkeit seiner Zeit angreift. Weder gibt es in ihm Gute noch Unschuldige und auch keine Überlebenden, mit denen man sich identifizieren möchte. Letztlich bleibt unentschieden, wer die schlimmeren Monster sind: die lebenden Toten oder die Lebenden. "Das Böse besetzt das Gewöhnliche. Es hat keinen Ort mehr, es erscheint im Zentrum von Alltag und Arbeit", wie Georg Seeßlen in seinem letztes Jahr erschienenen, dem Leben und Werk George Romeros gewidmeten Buch schreibt. "Man tritt nicht in ein Jenseits, man verliert inmitten der Realität den Boden unter den Füßen (und möglicherweise: das Leben)."

DRASTISCHE AUFKLÄRUNG
Romeros Zombie-Reihe ist bis heute auf sechs „... of the Dead“-Filme angewachsen. Inspiriert durch Romeros Produktionen entstehen eine Unzahl von Werken anderer Regisseure, die seine zentralen Motive aufgreifen und in gewisser Weise kanonisieren. Die Zombie-Filme zeigen im Unterschied zu ihren Vorläufern und zu den bis heute den filmischen Mainstream dominierenden Vertretern des klassischen, an die gothic-Tradition anknüpfenden Horror-Genres niemals zuwenig sondern immer zuviel: „Kauen, Schlucken, Ekel, Genauigkeit, Lust“ – so entwickelt Dietmar Dath in dem Briefroman „Die salzweißen Augen“ seinen Begriff von Drastik. Für ihn ist sie „der ästhetische Rest der Aufklärung nach ihrer Niederlage“ – übergenaues Hinsehen und bis zur Penibilität präzise Darstellung ohne Einbindung des Gezeigten in einen Sinn stiftenden Gesamtzusammenhang. Zombie-Filme sind keine psychologischen Studien sondern physiologische Versuchsanordnungen. Weniger Reflexion und Repräsentation des Verheimlichten und Unterdrückten als grotesk übersteigertes Re-enactment des alltäglichen Wahnsinns von Konsum, Politik, Wissenschaft, Medizin, Krieg, Fernsehen und Massengesellschaft.

VITALE BEEINTRÄCHTIGUNGEN
Sarah Juliet Lauro und Karen Embry, Verfasserinnen eines im Netz kursierenden „Zombie Manifesto“, weisen darauf hin, dass der Zombie als ein Wesen ohne Bewusstsein und ohne Sprache an Fälle schwerer mentaler und sprachlicher Störungen denken lässt. Nach den heute gängigen Normen für Normalität und den Umgang mit Menschen, die diesen Normen signifikant nicht entsprechen, wären Zombies als ‚Menschen mit vitalen Beeinträchtigungen’ anzusprechen. Daraus ergeben sich eine Reihe von Implikationen: Für Joseph Vogl ist der Zombie eine subversive Figur, weil er sich dem heute ubiquitär geltenden Vitalitäts- und Produktivitätsanspruch radikal entzieht. Lauros und Embrys Zombie-Manifest knüpft an das berühmte „Cyborg Manifesto“ der Medienwissenschaftlerin und Feministin Donna Haraway an, die in ihrem Text ein ‚Cyborg-Werden’, d.h. eine bewusste Affirmation der Verschmelzung des Körpers mit Technik (etwa in Arbeitssituationen oder bei Kranken), als revolutionäre Subjektivierungsstrategie propagiert. Im Unterschied dazu besteht das subversive und revolutionäre Potenzial des posthuman-Werdens der Zombies nach Ansicht von Lauro und Embry genau darin, dass sie sich dieses Vorgangs nicht bewusst sind. Weil sie über kein Bewusstsein und keine Subjektivität mehr verfügen, entziehen sie sich der kapitalistischen Verwertbarkeit.

KARNEVAL DES KÖRPERS
Die Organe der Zombies sind völlig unbrauchbar, weil tot. Die Figur des Zombies stellt das Bild vom an medizinische Apparate angeschlossenen, auf vegetative Funktionen reduzierten, 'untoten' Körper des hirntoten Patienten von den Füßen auf den Kopf. Einerseits lässt die Figur des Zombies an Wachkoma-Patienten erinnern – und umgekehrt – weil sie durch ihre extrem eingeschränkten mentalen Fähigkeiten bei weitgehend ‚intakten’ körperlichen Funktionen charakterisiert ist. Andererseits produziert sie in karnevalesker Umkehr ein Zerrbild der reduktionistischen Subjektdefinition, wie sie durch das Hirntodkriterium und die medizinische Praxis der Organtransplantationen festgeschrieben wird. Denn Zombies sind mobil und rastlos, haben ständig Hunger, obwohl sie über keine vegetativen Funktionen mehr verfügen und weder essen noch trinken noch irgendwelchen anderen leiblichen Bedürfnissen folgen müssen, um zu 'überleben'. Der Ort ihrer untoten 'Vitalität' ist paradoxerweise allein ihr, auf früheste evolutionäre Stadien beschränktes Gehirn, was sich aus dem Umstand schließen lässt, dass die Zerstörung desselben die einzige Möglichkeit darstellt, einen Zombie endgültig zur Ruhe zu bringen. Da ihr Trieb sich in keiner existenziellen Notwendigkeit begründet, scheint er rein imaginären Ursprungs – eine groteske Verkörperung des ‚reinen’ Konsums der Marke, wie er die kapitalistische Konsumgesellschaft antreibt.

ENTFREMDUNG
Der Zombie ist ein moderner Mythos. Nach einer ursprünglichen, aus einer Mischkultur des Kolonialismus und der Erfahrung der Sklaverei stammenden Bestimmung waren Zombies Menschen, die durch Zauberkraft unter den Willen eines Meisters gezwungen und von ihm zur Arbeit und zum Kampf eingesetzt werden. In einer neuen Mischform aus der alten und der neuen Bedeutung prae- und post-Romero hat sich das Wort Zombie heute im allgemeinen Sprachgebrauch als Bezeichnung für Zustände verminderter Handlungs-, Entscheidungs- und Zurechnungsfähigkeit eingebürgert, für Formen der Fremdsteuerung, sei es durch die (Nach)Wirkungen von toxikologischen Substanzen oder spezifische soziale Situationen (Familie, Schule, Beruf, Gesellschaft). Aus dieser 'zombologischen' Perspektive erhält der Begriff der Entfremdung neue Aktualität. Das digitale Zeitalter, die allgegenwärtige immaterielle, den Körper negierende Arbeit am Computer, bringt neue Zustände der Fremdbestimmtheit, für die das (doppelt!) gehirnreduktionistische Bild des Zombies eine geeignete Chiffre bereitstellt.

DIE ZOMBIES VON NEBENAN
In jüngster Zeit ist in Film, Comic und Computerspiel eine Hochkonjunktur des Zombie-Genres und zugleich eine Verschiebung im Konzept der Untoten zu beobachten: Sie sind uns (noch) näher gerückt. In komödiantischen Bearbeitungen des Stoffs wie „Fido – Gute Tote sind schwer zu finden“ (2006) oder „Shaun of the Dead“ (2004) werden Zombies zu Mitgliedern der Gesellschaft, mit denen man das Leben teilt. Aber auch in den letzten Romero-Filmen kündigt sich eine eigene, zukünftige Gesellschaft der Zombies an, mit oder ohne Menschen. „Lass sie, sie suchen nur einen Platz, wo sie bleiben können – wie wir,“ sagt der überlebende Held und Zombiejäger in einer der letzten Einstellungen des Films „Land of the Dead“, während man eine Schar von Zombies wie einen Flüchtlingstreck über eine Brücke aus der brennenden Stadt gehen sieht. Zombies verkörpern nicht mehr bloß das schieren Horror erzeugende ganz Andere, wie noch in den meisten früheren Filmen. Sie erscheinen jetzt oft als unsere Nachbarn und Mit-Wesen. Oder als unsere Zukunft.

Hannah Hurtzig, Alexander Klose